Ein Portrait-Projekt, das während dem Austausch-Stipendium ArtMix7 in Luxemburg und Saarbrücken (2012 und 2013) entstand. Die noch nicht abgeschlossene Serie ist mittlerweile auf über 50 Porträts angewachsen.

Weitere Infos gibt es auf der Facebook-Seite zum Projekt.

Zur Abschlußausstellung in Saarbrücken erschien ein Katalog.

Wie ein Bild entsteht, aus der Sicht der Malerin

Wie ein Bild entsteht, aus der Sicht des Portraitierten

Der Mensch als Bild seiner selbst

Wie im Bilderbuch : eine echte Staffelei, echte Leinwand, echte Pinselführung, ein echter Kittel. Chantal Maquet malt. Und wie. Fast überall, viel und schnell.
Als wäre das ihre Art, auf der Welt zu sein, die Welt zu sehen. Dabei findet ein Teil dieses malerischen Welt-Begreifens wirklich unterwegs statt : Straßenzüge erzählen von einem Zuhause-Gefühl, von verinnerlichten Alltagskulissen, von oft gesehenen Bildern und von verborgenen Ecken in fremden Städten – vom Schanzenviertel führt der Weg über Bayern nach Madrid. Ihr Blick in den Abgrund einer Großbaustelle bleibt genauso an den dort arbeitenden Menschen hängen, wie an vielen anderen Orten : der Küche eines Sternehotels, im OP, im Gerichtssaal, auf dem Münchner Oktoberfest.

Live-Malerei nennt Chantal Maquet das. Speed-Malerei würde ich es nennen, mit allem Respekt : Es gibt keine Vorzeichnung, es gibt Farbe und Malgrund, die virtuose Hand und den geübten Blick. Und einen kleinen Koffer, in dem sich alles verstauen lässt. So entstehen Bilder in und aus einem mitreißendem Produktionsfluss, die ihren rasenden Entstehungsprozess bisweilen unverblümt zeigen : Striche bleiben grob, ein Handgriff ist manchmal nur angedeutet, eine Farbfläche reißt hier ab und läuft da aus. Es wird zum elementaren Bestandteil des Bildes, wenn es in manchem Fall unvollendet bleibt.

Von Postkarte bis Professor, von Baustelle bis Brot scheint zu gelten : was Zeit hat, wird mit Zeit gemalt. Was still hält, bekommt Details. Ein derart selbstverständlicher Umgang mit Material und Aufmerksamkeit ist nicht nur verblüffend ökonomisch, pragmatisch und charmant, sondern vor allem im malerischen
Ergebnis interessant : Ein Hintergrund verschwindet, ein anderer drängt sich nach vorn, Raum löst sich auf, verliert sich in Flächen, verschmilzt an seinen Rändern mit Menschen in ihrer alltäglichen Beschäftigung. Vorder-, Hinter- und Malgrund setzen ihre Oberflächen gekonnt ein und treten untereinander in einen Dialog.

Ein Fokus verlagert sich – Interessen verändern sich mit der Zeit : ob innerhalb der Produktionszeit eines einzelnen Bildes oder im Lauf jahrelanger künstlerischer Praxis. Unbesorgt, neugierig, aber nicht nachlässig lässt Chantal Maquet zu, dass ihre Malweise sich kontinuierlich entwickelt. Die Spuren dieser Entwicklung dokumentieren langjährige, serielle Arbeiten – seien es die „Frauenbilder“, die sich an historischen Fotografien aus dem Familienkreis orientieren, oder die Reihe „Brot“.

Chantal Maquets Konzepte sind nie starre Hüllen, sondern vielmehr Fluchtlinien, an denen sich ein Interesse beschreibt und sich stetig weiter herausbildet; so liegt der Schwerpunkt bei der Reihe „Brot“ in einem Fall auf der Verpackung : sie wird eigenwillig plastisch, reflektiert und wirft pastose Falten, das bloße Auge dringt kaum zum Inhalt vor. Bei anderen Bildern steht das Brot selbst im Zentrum: Frisch geschnittene Scheiben schmiegen sich aneinander, leicht verschoben, und geben neben der dunklen, rauen Kruste etwas von ihrem weichen Inneren preis. Zusammen hält sie ein nur zu erahnender, feiner Schleier von Plastiktüte.

Chantal Maquet malt auch im Atelier. Sie hat sich für ein Medium entschieden, nennt die Malerei ihre Muttersprache und arbeitet ganz in ihrer Materie. Für die Zeit in Luxemburg und Saarbrücken hat sie sich dafür einen Rahmen gesetzt: den Raum zwischen Maler und Porträtiertem. Unter dem Titel „Look at me! I look at you!“ lädt sie Menschen ein, sich eine Stunde lang dem klassischen Wechselspiel einer Porträtsitzung auszusetzen. Dabei geht es natürlich um das entstehende Bild, das sie von ihrem Gegenüber anfertigt. Gleichzeitig interessiert sie jenes Bild, das sie im anderen evoziert – das sich ihr Gegenüber von ihr macht – bzw. machen könnte. Es ist das des Malers vor seinem Modell : mit Kittel und Staffelei, mit Palette und prüfendem Blick. In diesem einstündigen Schauspiel lässt sie all die skurrilen wie theatralen Momente zu, die eine so hochgradig artifizielle Situation mit sich bringt. Das ursprüngliche Konzept sah vor, dass der „Kunde“ die Fernauslöse einer fix installierten Kamera bedienen, und nach Belieben Bilder von der Malerin festhalten würde. Ein Fehlgriff, den Chantal Maquet schnell korrigieren musste: Ihren Modellen stand die reine Anspannung ins Gesicht geschrieben. Sie waren ganz Entscheidung, ganz Beobachter. Seitdem macht die Kamera selbstständig Bilder von der Malerin bei ihrer Arbeit, alle fünf Sekunden.

Statt Laie und Profi sind nach dieser Entscheidung wieder zwei Voll-Profis mit der Bildproduktion beschäftigt: die gelernte Illustratorin und die digitale Kamera. Die Konstellation provoziert den Vergleich: Wie automatisiert entstehen die Bilder unter Chantal Maquets Händen? Ist ihr Blick auch getaktet, voreingestellt? Und wenn, wäre das ein Zeichen von Könnerschaft? Der Beweis, dass Ölfarbe in ihren Adern fließt, dass das Malen ihr ins Blut übergegangen ist ? Oder ist es das genaue Gegenteil – die mechanische Blutleere des Virtuosen? 200 Jahre nach Erfindung der Kamera können wir die alte Streitfrage nach der Überlegenheit von Fotografie oder Malerei getrost beiseite lassen: Kein Medium ersetzt das andere. Und solange Chantal Maquet es nicht nur schafft, sich selbst, trotz ihrer Virtuosität, beim Kampf um Ähnlichkeit zu überraschen, sondern auch noch in der Lage ist, Momente menschlicher Nähe hervorzubringen, ist die Bedrohung durch die moderne Technologie zu vernachlässigen. Vielmehr steht eine Frage dadurch noch deutlicher und auf mehreren Ebenen im Raum: Was bedeutet es, einen Menschen wirklich (und nicht nur seine Gesichtszüge) zu treffen ?

Mirjam Bayerdörfer